Hand in hand

by Michael Stoeber
in HANNOVERSCHER ANZEIGER newspaper, Germany, 06.09.2016

Die Gastkuratorin dieser Ausstellung ist in Hannover keine Unbekannte. Die Pariserin Mathilde de Croix, 1990 geboren, war auf Einladung von Kathleen Rahn, Direktorin des Kunstvereins in der Sophienstrasse, schon im Rahmen der letzten Herbstausstellung in der Landeshauptstadt tätig. Damals hatte sie für sechs hannoversche Künstler unter dem Titel „Open Studio“ in deren eigenen Ateliers Ausstellungen organisiert und dabei ihre Werke in einer Weise präsentiert, dass die Künstler sie mit neuen Augen sahen und nicht selten auch sich selbst. Entsprechend dem schönen Wort von Adorno, dass das gute Kunstwerk immer klüger ist als der Künstler. Nun also ist Mathilde de Croix wieder in Hannover. Und dieses Mal hat sie eine junge Künstlerin ihrer Generation aus Paris mitgebracht, Eléonore False, Jahrgang 1987, auch noch keine 30 Jahre alt, die Croix schon kennen und schätzen gelernt hat, als False noch Freie Kunst an der Ecole Nationale Supérieure des Beaux-Arts in Paris studierte.

Unter dem, an Croix´ erstes Gastspiel erinnernden Ausstellungstitel „Open Room“ bespielt False jetzt zwei Räume im Kunstverein; die anderen werden im Augenblick noch renoviert oder für diverse Gastauftritte gebraucht. Es sind die beiden vorderen Räume des Kunstvereins. Sie sind in ihren Raummaßen identisch und, durch das Entrée getrennt, spiegelverkehrt aufeinander bezogen. False gelingt es durch eine kluge und sinnreiche Präsentation ihrer Werke diese Trennung zu überwinden und die Identität der Räume zu prononcieren. Vor allem durch zwei Videos, präsentiert an den hinteren Wänden der Räume. Von dort aus schauen sie sich gewissermaßen an und treten in einen Dialog miteinander. Er könnte stiller, spiritueller und poetischer nicht sein. Die Filme zeigen in jeweils einer einzigen Einstellung den Blick aus dem Pariser Atelierfenster der Künstlerin auf eine gegenüberliegende Mauer. Auf ihr zeichnet sich als herrliches schwarzgrauweißes Schattentheater ab, wie der Wind durch die Zweige und Blätter der Bäume im Hof oder auf der Straße fährt und die Sonne das Dunkel mit hellen Flecken erleuchtet. Das Thema der Überwindung von Trennung bestimmt auch das übrige Werk der Künstlerin. False, studierte Malerin, konzentriert sich in ihm auf die Collage, die sie in klassischer Weise aus unterschiedlichen Fotoausschnitten fertigt. Die vergrößert der Scanner zu einem gemeinsamen Bild, das False als Computerausdruck präsentiert und gelegentlich durch Keramiken zur Installation erweitert. In den Collagen kommt es zu verblüffenden Allianzen. Sie werden zum einen durch die Suche der Künstlerin nach formalen Analogien bestimmt, zum anderen aber auch durch ihren Willen, zusammenzufügen, was ursprünglich getrennt ist, und für Gleichklänge zu sorgen, wo wir normalerweise keine sehen. Damit steht False in einer Tradition, die in Hannover wie kein anderer Kurt Schwitters repräsentiert. Als Ziel seiner Kunst formulierte er einst: „Merz bedeutet Beziehungen schaffen, möglichst zwischen allen Dingen der Welt.“ Beziehungen schafft False u. a. zwischen Schmetterlingen und Indianern, Schlangenornamenten und Blüten, altem Schmuck und Pfauenfedern. Oder zwischen sich und dem Renaissancemaler Piero di Cosimo, wenn ihre Hand aus Gips die Abbildung seines hinreißenden Porträts der Simonetta Vespucci hochhält. False hat sie so geknickt, dass der Eingriff die Nase der edlen Dame gleichsam verdoppelt. Auf diese Weise wird das Bild partiell zum Objekt und die Simulation körperhaft. Worin sich eine Freude am künstlerischen Spiel zeigt, die False einmal mehr als Bewunderin und Seelenverwandte des hannoverschen Merz-Meisters kenntlich macht. Zugleich interagieren in dem Werk Geschichte und Gegenwart. Das ist auch in der eindrucksvollen Collage der Fall, in dem eine junge Frau – mit Jeans und Sneakern unübersehbar aus dem Hier und Heute – auf ihren gebeugten Schultern und Rücken als Joch die Last der Vergangenheit trägt. Fabelhaft, wie sich die Fotoschnitte von False dabei formal zu einem spannungsvollen Ganzen fügen. Das gibt zur Hoffnung Anlass, dass die Lehren der Geschichte auch Befreiung bedeuten könnten. Überhaupt glaubt der Betrachter im Verlaufe seines Besuchs in False einer Neo-Romantikerin zu begegnen. Zwar ist die Union zwischen Gott und Mensch, Mensch und Natur in der Moderne weitgehend verloren gegangen, und der Collagekünstler hält, wie T. S Eliot in seinem Jahrhundert-Poem „The Waste Land“ geschrieben hat, nur noch „a heap of broken images“, einen Haufen zerbrochener Bilder in Händen.

Doch wie Eléonore False bei ihrer Ausstellung in Hannover diese Scherben zusammenfügt, das zeugt nicht nur von einer großen Sensibilität für stimmige und überzeugende Korrespondenzen. Das ist auch von der starken Sehnsucht getragen, alles Getrennte harmonisch miteinander zu vereinen.